31. August 2008

nein, schatz, es ist nichts - #2

Du bist viel hübscher, wenn du lächelst.
Dieser Satz ist eine implizite Aufforderung: Lächele! Sie kann von einem Bekannten kommen oder einem Fremden, vom Arbeitskollegen oder der eigenen Mutter. Der Äußernde geht gar nicht davon aus, dass die Angesprochene keinen Grund haben könnte zu lächeln, oder vielleicht einfach nicht lächeln möchte. Sehr wohl versteckt sich darin aber die Annahme, dass die Frau ein Interesse daran haben sollte (vielleicht sogar eine Verpflichtung) zu gefallen – und dass es sich lohne, dafür etwas zu tun, was ihr sonst nicht in den Sinn käme. 
Jetzt schreien wieder alle! Ist doch nicht Schlimmes dabei. Jeder will doch gefallen. Die Frau macht das doch freiwillig, es zwingt sie ja niemand. Männer wollen ihren Frauen doch auch gefallen. Richtig, richtig. Dem ist schon so. Nur… wie stellt man das an? 
Liebe Leserin, wie oft hast Du einem Mann gesagt, er solle doch mal lächeln? Lieber Leser, wie oft hast Du gehört, Du sollest doch mal freundlicher schauen. Wie oft hört ein Mann, der sich regelmäßig wäscht und seine Kleidung wechselt, er sei sicherlich beliebter, gäbe er mehr auf sein Äußeres acht? 
Darf die das eigentlich? 
Man könnte glauben, das einzige Gefährliche sei heutzutage die eigene Meinung. Wir sind alle individuell, wir sind alle gleich unterschiedlich, alles ist erlaubt – oder? Deshalb sind wir auch nur vor uns selbst verantwortlich, deshalb brauchen wir keine Solidarität, deshalb haben wir selbst Schuld, wenn es nicht so läuft – oder? Deine Komplexe sind dein Problem. 
Deine Komplexe sind dein Problem? Nun, ich mache meine jetzt zu Eurem. Jedes Schreiben ist subjektiv, aber das verbirgt sich allzu oft hinter Fakten und Zahlen und traut sich nicht das ‘ich’ zu verwenden. Gerade Frauen haben dabei zurecht Angst, denn wenn sie ihr Empfinden nicht mit der großen Wissenschaft untermauern können, bleibt es im Bereich dessen, was seit jeher die Sphäre des Weibes ist: Das Subjektive, das Emotionale. Und braucht von daher nicht ernstgenommen zu werden. 
Einwürfe: Vielleicht geht das auch nur dir so? Vielleicht fühlst du dich da persönlich angegriffen? Vielleicht ist das jetzt auch nur dein subjektives Empfinden? Vielleicht hast du ein Problem damit?
Ja. Ja! Ja, und nochmals ja. 
Ja, es geht mir so; wie es anderen geht werde ich nicht erfahren, wenn ich mich nicht äußere – Es gibt bei vielen ein Bedürfnis, nicht anfangen zu müssen. 
Ja, ich fühle mich persönlich angegriffen, denn wie greift man jemanden unpersönlich an? 
Ja, mein Empfinden ist subjektiv – basiert deins auf der Gaußschen Normalverteilung? 
Ja, ich habe ein Problem damit. Deshalb schreibe ich. 
Wir sind so angreifbar, wenn wir persönlich werden. Unsere Ideen sind so ungreifbar, wenn sie persönlich sind. Doch hier und heute soll es gehen um  
Aussehen, Ansehen und der weibliche Körper 
Und das ist zwangsläufig persönlich, denn ich habe einen Körper, nur diesen einen, und der ist weiblich. Ich weiß also, wovon ich spreche, und kann doch nicht behaupten, für alle Inhaber weiblicher Körper zu stehen. Trotzdem möchte ich meine Sicht auf die Dinge nicht unerwähnt lassen, denn immer wieder höre ich die Frage: ‘Warum machen sich Frauen so viele Gedanken um ihr Gewicht und ihr Aussehen?’ Und ich möchte immer mit einer Gegenfrage antworten: ‘Warum, machst Du dir so wenig darum?’ 
Aber das wäre falsch, denn Männer machen sich ständig Gedanken um unser Aussehen: ‘Wie sieht sie wohl nackt aus? Wie sieht sie aus, wenn sie Sex hat? Sieht sie so aus, als würde sie mit mir Sex haben wollen? Würde ich mit ihr Sex haben wollen?’ – Das ist erst einmal nichts Schlimmes, das ist Testosteron. Was diese Männer, die mich das fragen, meinen, ist: ‘Warum machen sich Frauen so viele Gedanken um ihr Aussehen in meiner Gegenwart?’ – Frauen machen sich auch ständig Gedanken um das Aussehen anderer Frauen: ‘Ist sie schlanker als ich? Ist sie hübscher als ich? Besser angezogen? Erfolgreicher, glücklicher, dünner, dünner, dünner?’ Und dann gehen sie zu ihrem Mann und fragen: ‘Schatz, habe ich einen dicken Hintern?’ 
The Male Gaze und andere Krücken
In der Analyse visueller Texte (Bild, Film, etc.) beschreibt ‘Der Blick’ (the gaze, oder: le regard), wie der Betrachter die im Bild dargestellten Personen sieht. Der Begriff  wurde zuerst in den 1960ern u.a. von Michel Foucault und Jacques Lacan verwendet, um Machtverhältnisse in gesellschaftlichen Institutionen zu verdeutlichen. In der feministischen Theorie übertrug Laura Mulvey den Terminus dann als ‘the male gaze’ auf die Machtbeziehungen zwischen den Geschlechtern. [Nach Wikipedia: The Gaze]
Charakteristisch für the male gaze ist es, dass der Betrachter durch die Art der Darstellung in die Position eines heterosexuellen Mannes gezwungen wird.
Die Kamera folgt den Kurven des weiblichen Körpers, sie seziert ihn; die Frau posiert für einen Betrachter, der sich außerhalb des Bildes befindet, also uns, oder für einen Mann im Bild, der stellvertretend für uns agiert.
In diesem Bild zum Beispiel ist es die Aufgabe der Frau, betrachtet zu werden: Nicht nur wird sie von einem Mann gefilmt, der unsere Perspektive teilt, und hundertfach über die Fernseher auf uns zurückgeworfen, sie posiert für diesen Betrachter ohne weitere Erklärung. Ihr Daseinszweck ist die Pose; sie wird in gewisser Weise zum Objekt. In der Grammatik des Bildes als Text ist die Frau das Patiens. Dem Betrachter lässt dies nur eine Wahl: Er kann sich nur mit dem Mann (dem intra-diegetischen Betrachter) identifizieren, denn die Frau ist keine Person mehr, erfüllt keine Aufgabe, existiert nicht außerhalb des Blicks des Beobachters.

Die zwei Bilder hier sind Beispiele für den Direkten Blick (das Subjekt will, dass es beobachtet wird) und den Indirekten Blick (das Subjekt weiß nicht, dass es beobachtet wird). Diese Situation hat wiederum Auswirkungen auf die Machtbeziehungen, die durch die im Bildnarrative (also die im Bild erzählte Geschichte) kommuniziert werden.
All diese Überlegungen sind wichtig, denn die Repräsentation von Frauen als Objekt (zumeist, wie auch hier, als sexuelles Objekt) begegnet uns tagein, tagaus – es wäre naiv anzunehmen, dass dies keinen Einfluss auf unsere Wahrnehmung hat. 
"From the moment we are a pretty little girl in a cute dress, and our brother is a big, strong boy who is smart, we learn what society expects from us. We internalize the message that as women, we are defined by our looks, not by our actions, character, or brainpower. These messages surround us in the media, in our communities, and sometimes in our own homes." [Our Bodies, Ourselves]
Wenn man also wissen möchte, warum Frauen soviel Wert auf ihr Aussehen legen, sollte man sich zuerst folgende Fragen stellen: Wie sehen Männer Frauen? Wie sehen Frauen sich selbst? Wie sehen Frauen andere Frauen?
Wie sehen Männer Frauen?
Zugegeben, ich kann nicht sagen, wie Männer Frauen sehen. Sicherlich gibt es da von Individuum zu Individuum Unterschiede in Vorlieben, Einstellungen und Ausdrucksform dieser Präferenzen. Was ich als Frau aber sehen kann, ist, wie ich sehen soll, dass Männer Frauen sehen (wollen). Denn selbst wenn die mediale Repräsentation von Frauen nicht den Vorlieben der Männer in meinem Umfeld entspricht, so muss ich (in Ermangelung der männlichen Perspektive) doch davon ausgehen. Es folgt: 
Es kommt sehr wohl aufs Aussehen an – das lernt man als Mädchen schon sehr früh: Durch Komplimente ('Du bist aber eine Hübsche.'), Kommentare ('Was hat die denn für einen fetten Arsch?') und auch die Massenmedien. Dein Wert, sagt all dies, besteht in deiner Äußerlichkeit; deine Aufgabe, fügt man hinzu, ist dich zu präsentieren. Und das tun wir.
Unsere Kultur suggeriert Männern von Kleinauf, dass Frauen zum Anschauen da sind; Frauen lernen nicht nur das, sie lernen auch, dass angeschaut werden etwas Erstrebenswertes ist. Ich sage anschauen, nicht zuschauen, denn zuschauen impliziert eine Tätigkeit – ein Beobachten bei und nicht von etwas. Wenn es aber nur um das Beobachten an sich geht, dann werde ich selbst zu diesem Etwas. Von den Empfehlungen, die Ehe doch durch Striptease am Küchentisch zu retten, über die Glücksradfee, die auf Geheiß des (männlichen?) Moderators im kurzen Kleidchen Buchstaben umdreht, bis hin zu Frau Merkel, deren Schlagzeilenwert lange ihre Frisur war: Männer sehen in Frauen einen Frauenkörper. (Einen Frauenkörper, d.h. eine One-size-fits-all-Schablone, denn wenn ich mich recht erinnere, wurde Frau Merkel, sobald sie Bundeskanzlerin war und Hosenanzüge trug (Warum wohl?), ihre 'Weiblichkeit' kurzerhand abgesprochen. Das Agens ist nie feminin.)
Wir müssen gefallen, denn sonst sind wir unsichtbar.
Und – ist das so? Meine beschränkte Sicht soll hier natürlich nicht allein stehen, deshalb möchte ich hier wenigstens eine Studie zitieren:
"A central tenet of objectification theory is that women are the main targets of sociocultural pressure to attain an idealized body, and a primary source of such perceived pressure is evaluation by men. Accordingly, we found that men objectify women more than they objectify other men. In addition, and also consistent with objectification theory, we found that men objectify women more than women objectify other women, and men are objectified to a much lesser degree by both women and other men. [...] We argued that because women are the targets of objectification, often by men, they are encouraged to believe that it is important that women must look good in order to be valued. [...] Taken together, our findings are consistent with the central tenets of objectification theory. That is, as a consequence of constant perceived evaluation by men and the persistent promotion of images of idealized bodies within the media, women are encouraged to internalize a prevailing sociocultural view that appearance – certainly women's appearance – is inordinately important." [Strelan/Hargreaves]
Kurz zusammengefasst: Frauen nehmen war, dass ihr Aussehen ständiger Beobachtung und Bewertung unterliegt – und (zumindest in dieser Studie) ist das auch tatsächlich so. Und konsequenterweise ziehen Frauen daraus den Schluss: Die äußere Erscheinung ist disproportional wichtig.
Weiter in Teil 3Bildquelle.

30. August 2008

nein, schatz, es ist nichts - #1

Disclaimer: Die Links in diesem Text dienen nur der Erläuterung und/oder bieten weiterführende Informationen, man muss ihnen nicht folgen; Links in eckigen Klammern sind Quellenangaben. Ich habe mich außerdem bemüht, Jargon so weit wie möglich außen vor zu lassen oder eine Erklärung nachgeliefert. (Wer das Wort schon kannte, darf sich schlau fühlen und sich ein Bienchen in die Bildschirmecke links unten kleben.) Ununterbrochenes Lesevergnügen also – das ist ein Service! 

Schatz, ist irgendwas passiert? 
Vor einigen Tagen saß ich mit ein paar Freunden am Fluss; es war eine lange, schöne Nacht – und im Laufe des Gesprächs musste ich zu meiner Überraschung feststellen, dass selbst Männer, die mich schon oft mit der Treffsicherheit ihrer Beobachtungsgabe beeindruckt haben, nicht sehen, dass Mann und Frau längst noch nicht gleich sind in dieser Gesellschaft.
Gegenposition kurz zusammengefasst: Die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen in der Ausfüllung ihrer gesellschaftlichen Funktionen sei allein auf charakterliche Unterschiede der Einzelnen zurückzuführen, nicht aber auf ein (wahrscheinlich unbewusstes) Rollenverständnis. Es liegt nicht in der Absicht der Männer, Frauen zu benachteiligen – daraus folgt, dass diese Benachteiligung eingebildet oder zumindest nicht auf das Geschlecht zurückzuführen ist. 
Das hat mich nicht losgelassen und ich möchte gerne näher darauf eingehen und einige der Konzepte erklären, die ich so forsch anbrachte und meine damals vom Alkohol beschwingten Gedanken in etwas geordnetere Bahnen lenken. Ich kann nicht garantieren, dass dies lustig wird, aber es ist wichtig. Umso wichtiger, da Benachteiligung eben nicht nur Frauen betrifft, sondern uns alle. Nichts von dem, was Du hier lesen wirst, ist neu; es ist vielleicht nur nicht in diesem Zusammenhang gesagt worden. Ganz sicher aber ist es noch nicht oft genug gesagt worden. Also los. 
Schatz, was meinst Du damit? 
Dem Feminismus geht es um Frauen, nicht um Männer. Punkt. Ich habe nichts ‘gegen Männer’ oder ‘gegen Frauen’ per se (Diese Schutzimpfung gibt es noch nicht), und wenn ich ein Problem mit Hausarbeit habe, dann, weil sie mich langweilt. Ich verstehe mich als Feministin; das ist kein Schimpfwort. Der Feminismus ist eine Theorie (der Geisteswissenschaften, nicht nach K. Popper), und so sind die Bezeichnungen Mann und Frau notwendigerweise Denkkonstrukte – Du brauchst dich nur soweit angesprochen (und meinetwegen auch angegriffen) fühlen, wie du meinst, dein persönliches Verhalten darin wiederzuerkennen.  
Weiterhin soll unterschieden werden zwischen sex (biologisches Geschlecht) und gender (soziales Geschlecht). Dies ist hilfreich, denn nicht alles was biologisch gesehen weiblich/männlich (i.S.v. female/male) ist, ist auch gleichzeitig feminin/maskulin konnotiert. Wir reden hier natürlich gerade in Bezug auf gender von Stereotypen. Gender ist ein gesellschaftliches Konstrukt, aber nichtsdestotrotz sind die Konsequenzen nicht weniger real – Auch wenn wir persönlich denken, dass Rassismus schwachsinnig ist (wovon ich mal ausgehe), bestreiten wir ja nicht, dass es ihn noch gibt und das Leben vieler Menschen negativ beeinflusst.  
Desgleichen ist natürlich die Aufteilung in Frau und Mann eine unsägliche Vereinfachung. Geschlecht – genetisch, gonadal, genital, sozial und auch mental/emotional – ist zu kompliziert, um es als Dichotomie (d.h. ein Entweder/Oder) bzw. binäre Opposition zu betrachten. Ja, auch das biologische Geschlecht ist ein soziales Konstrukt. Es soll aber für unsere Zwecke ausreichen. 
So, jetzt aber genug um den heißen Brei herum geredet. Allen denjenigen Männern, die sich im Folgenden angegriffen fühlen, kann ich, mit freundlicher Unterstützung der Patriarchats, nur sagen: Du Heulsuse, benimm dich doch nicht wie ein Mädchen… Sei ein Mann! Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Oder bist du schwul, oder was? 
Schatz, das bildest Du dir nur ein. 
Es gibt genau eine Sache, die mich mehr in Rage versetzt, als die systematische Benachteiligung von Schwächeren, und das ist das Leugnen ihrer. Denn genau diese Haltung, mehr noch als offene Diskriminierung, macht es fast unmöglich, die bestehenden Unterschiede und Ungerechtigkeiten zu thematisieren. Und genau diese Haltung verdient es, als allererstes, bevor wir auch nur einen Schritt weitergehen, auseinandergenommen zu werden. 
1. Warum ‘systematische Benachteiligung’? Weil ein einzelnes Arschloch kein Problem darstellt – Ein Arschloch ist ein Arschloch ist keine Rose. Damit hat sich’s. Schlimm wird es, wenn es sich gar nicht um ein Arschloch handelt, sondern um das System, das die Menschen unwissentlich zu Arschlöchern macht. 
Ein Beispiel: Wenn ein Mathelehrer sagt, Mädchen könnten kein Mathe, ist er ein Arschloch. Wenn aber alle davon ausgehen, dass Mädchen kein Mathe können, dann führt dies selbst mit den besten Intentionen zu Folgendem: Mädchen werden seltener drangenommen (Ich will sie ja nicht bloßstellen | Das bringt doch eh nichts), ihre Fehler werden anders beurteilt (Mädchen können das halt nicht) und Unterschiede im Denken werden schnell als Unterschiede in der Qualität des Ergebnisses gewertet (Anderer Lösungsweg, gleiches Ergebnis, weniger Punkte: Handelt es sich um fehlendes Verständnis oder um andere Problemlösungsstrategien?).
Reaktion: ‘Ich komme seltener dran, meine Fehler werden hingenommen und nicht nochmal erklärt, ich halte den Unterricht auf… ich brauche mich nicht bemühen, denn ich kann es nicht ändern’ Mädchen melden sich nicht mehr. Sie lernen nicht mehr. Sie verlieren den Anschluss. Mathe wird langweilig. 
Die Konsequenz: Mädchen können kein Mathe, dementsprechend haben sie auch kein Interesse daran. Man führt einen Girls Day ein, an dem pinke Kreide verwendet wird, um Mathe interessanter zu machen. Die Mädchen malen Blümchen. Wir fühlen uns alle bestätigt. Sieg der Wissenschaft, juchee. 
Warum ist das schlimm? Einem Arschloch von Mathelehrer kann ich sagen: 'Du bist ein Arschloch.' Ich kann mich beschweren, die Klasse wechseln, oder ihn ertragen. Vielleicht wird seine Bemerkung soviel Reaktanz auslösen, dass ich in zwei Wochen eine Differenzialgleichung im Schlaf lösen kann. Wenn der Fehler aber im System, also der Institution Wissenschaft/Schule steckt, dann habe ich kaum eine Möglichkeit. Wahrscheinlich stelle ich selbst das gar nicht fest, denn Mathe interessiert mich ja nicht. Vielleicht habe ich aber, aus unbekannten Gründen, noch nicht alles aufgegeben. Was dann? 
2. Warum ist das Leugnen schlimmer als die eigentliche Benachteiligung? Setzen wir unser Beispiel fort: Ich kann nicht einfach abwarten, denn das System geht, im Vergleich zu einem einzelnen Lehrer, nicht weg. Also beschwere ich mich und werde belehrt, dass es niemandes Absicht sei zu diskriminieren. Und das stimmt sogar – man handelt ja nur auf Grund allgemein akzeptierter Annahmen. Dadurch aber passiert Folgendes:  
Möglichkeit a) Ich werde unsicher: ‘Reagiere ich vielleicht nur über? Vielleicht kann ich ja wirklich kein Mathe – oder wir alle? Vielleicht bilde ich mir das nur ein?’ Das ist die Reaktion vieler Frauen, besonders heutzutage, da die offensichtlichen Formen von geschlechtsspezifischer Ungleichbehandlung z.B. im Gesetz weitgehend abgeschafft und evolutionstheoretische Pseudo-Erklärungen wieder auf dem Vormarsch sind. Es endet damit, dass wir uns selbst die Schuld geben – bevor überhaupt Fragen gestellt wurde. Es endet mit Schweigen. 
Möglichkeit b) Ich beharre auf meinem Standpunkt: Wie aber kann ich ihn belegen? Es hört mir ja niemand zu. Das ginge nur, fänden wir genug Lehrer, die nicht von vornherein annehmen, XX und x=y+z gingen nicht zusammen. Dann könnte man sehen, ob Mädchen dort immer noch schlechter sind in Mathe. Das aber würde Infragestellen der eigenen Position voraussetzen.
Sind sie übrigens nicht: 
“Luigi Guiso of the European University Institute in Florence and his colleagues have just published the results of a study which suggests that culture explains most of the difference in maths, at least. In this week's Science, they show that the gap in mathematics scores between boys and girls virtually disappears in countries with high levels of sexual equality, though the reading gap remains. […] On average, girls' maths scores were, as expected, lower than those of boys. However, the gap was largest in countries with the least equality between the sexes (by any score), such as Turkey. It vanished in countries such as Norway and Sweden, where the sexes are more or less on a par with one another.” [Economist 2008
Zahlreiche Studien haben inzwischen belegt, dass die eindeutigen und faktisch unbestrittenen schlechteren Leistungen in Naturwissenschaften auch und gerade von den Einstellungen der Lehrenden und Lernenden abhängen [Überblick hier|Mehr hier]. Aber soweit muss ich erst einmal kommen in meinen Ausführungen – und bevor diese Studien überhaupt in Betracht gezogen werden, hat der Lehrer schon begegnet: ‘Aber das heißt ja noch lange nicht, dass das in unserem Unterricht auch der Fall ist. Ich glaube nicht, dass sich die anderen Mädchen benachteiligt fühlen. Vielleicht reagierst Du auch ein bisschen über, hm?’ Im schlimmsten Fall werden diese Studien gar nicht erst in Auftrag gegeben. Es endet wieder damit, dass wir selbst Schuld haben. Es endet mit Schweigen. 
3. Warum Benachteiligung von Schwächeren? Ha! werden jetzt wieder alle schreien: Sie nennt sich Feministin und erklärt, Frauen seien genauso gut wie Männer, aber wenn es ihr in den Kram passt, sind sie wieder die Schwächeren. Typisch. 
Nein, meine Herren, so einfach ist es nicht. Das Potential, das Frauen und Männer haben, ist (natürlich mit Varianz innerhalb des jeweiligen Geschlechts) erst einmal statistisch gleich. Nur die Erwartungen, wie und ob dieses Potential zu nutzen ist, sind unterschiedlich – und damit auch der Handlungsspielraum, der dem Individuum eingeräumt wird. 
Bevor ich jetzt in Hundertste komme und all die Situationen aufzähle, in denen Frauen vom System faktisch ausgebremst werden, möchte ich ein weiteres Beispiel für das bringen, was ich mit 'der Schwächere' meine: 
Drei Politiker treten im Wahlkampf gegeneinander an: Zwei haben viel Geld, einer nicht. Wäre es nun so, dass alle ihre Wahlwerbespots und Plakate aus ihrem Vermögen finanzieren sollten, so hätten die Reicheren die besseren Chancen gehört und damit gewählt zu werden. Dies aber sagt nichts über ihr politisches Können aus, genauso wenig wie über die Urteilsfähigkeit der Wähler (Das ist wichtig!), denn diese konnten nie zu einem unvoreingenommenen Urteil über alle Kandidaten gelangen. Tatsache ist aber, dass einer der Reichen gewählt wird, weil diese einen strategischen Vorteil hatten. 
Der Arme in diesem Fall ist der Schwächere, nicht aber der Unfähigere. Dabei liegt es nicht in der Absicht der Bevölkerung, ihn zu diskriminieren: Im Gegenteil, sie hat getan, was richtig ist – einen der politischen Kandidaten gewählt, von deren Position sie sich ein Bild machen konnte; von wem man nichts weiß, kann man nicht überzeugt werden. Unser System sieht vor, dass deshalb die Sendezeiten aller Kandidaten begrenzt und zugeteilt werden; wir schaffen virtuelle Gleichheit bei faktischer Ungleichheit. Falls es nun am System liegt, dass die einen reich und die anderen arm sind, so kann der arme Kandidat dies ändern wenn er dafür Unterstützung in der Wählerschaft findet. Wenn nicht, macht er schlechte Politik und wird nicht gewählt. Das nennt man Demokratie, und nichts weiter fordert Feminismus: Gleiche Chancen, nicht unbedingte Gleichheit.
Mein Problem ist nicht das Bestehen von Ungleichheit oder verschiedenen Ansichten an sich, sondern die Verweigerung, diesen Tatbestand anzuerkennen. Damit enthalten wir dem Schwächeren nicht nur die Möglichkeit vor, sich aus dieser Lage zu befreien, wir geben ihm auch noch die Schuld daran, dass er es nicht tut. Was sich im übertragenen Sinne abspielt, ist, dass viele Männer (und auch Frauen) agieren, als hinge die Sendezeit im Wahlkampf bereits von der Qualität der zu machenden Politik und nicht von den finanziellen Mitteln des Kandidaten ab. Und das ist Selbsttäuschung.
Weiter in Teil 2.


29. August 2008

top secret

Nebenbei ein Staatsgeheimnis: Eine unserer staatlichen Institutionen hat Humor (siehe Frage #2 ganz oben) – und zwar ausgerechnet der BND.
Dürfen die das? Ist das noch deutsch, oder schon der korrumpierende Einfluss des Auslands? Oder einfach nur ein harmloser Ausrutscher, der der Ernsthaftigkeit des Staates, des unsrigen, keinen Abbruch tut?

immer auf sendung

Wenn ihr mal zuviel Zeit habt, dann schaut euch diese sehr … aufschlussreiche Dokumentation über den US-Wahlkampf 1992 an. Ach, wie gerne wäre ich das Mäuschen am Satelliten-Receiver dieses Jahr. Weiß jemand, wie das geht?

27. August 2008

shear good design!

schaf#1 ruft schaf#2. Ich will so eins fürs Büro: 'Moment mal, ich muss mal eben dem Schaf an die Wolle gehen. Möchten sie solange einen Kaffee?'

straight blush

Das amerikanische Wahlsystem gleicht ja – dank superdelegates, primaries, caucuses und whatnot – für einen Durchschnittseuropäer sowieso einer Mischung zwischen Glücksspiel und Schönheitswettbewerb. Hiermit sollte dann aber auch endlich klar sein, dass auch dort die Politik noch ihren wohlverdienten Platz auf der Agenda hat. Na dann: Lasst uns hoffen, dass es nicht three-of-a-kind werden.
Hat-tip: towleroad

mit cheese oder ohne?

Erinnert sich noch jemand an die Fotosessions in der Grundschule? Dort wurde man hübsch angezogen; rosa Bluse, frisch geschnittener Pagenkopf; und dann saß man einem Fotografen gegenüber, der einen für völlig bescheuert/eine Jung-Ornithologin hielt und einem erklärte: 
"Gleich kommt das Vögelchen." Hehe, sabber. Ich habe es mit Siebenjährigen zu tun, die schauen bestimmt auch He-Man und halten das für real, daher auch die Jugendgewalt... Ich erzähl denen mal was Witziges – Guck mal, ein Spatz! Sabber. Hehe.
Diese Sitzungen waren nicht nur anstrengend (Sabrina hatte immer die viel coolere Zahnspange als Annika, ich hatte gar keine!), sondern auch noch von zweifelshaftem Ergebnis gekrönt. Denn unweigerlich fühlte ich mich schon damals auf Fotos drei Kilo dicker und dreißig IQ-Punkte dümmer, als das angemessen wäre. Es war, um es mal auf gut Englisch zu sagen, a humbling experience, indeed.
Aber: Es gibt Hoffnung für meine von kleinauf gequälte, oberflächenkratzerbehaftete Seele – Ich bin nicht allein in meiner Pein. Anderen geht es genauso. Und alle zusammen sind wir mindestens so hübsch wie Sabrina damals mit ihrer Neon-Glitzer-Spange und dem Vokuhila. So.
(Übrigens, wo wir gerade über Zahnspangen sprechen: Es gibt sie noch, die interaktiven Zahnärzte, die viel wert auf den Dialog mit dem kleinen Patienten legen. Deshalb fragen sie ihn auch nach seinem Namen. Wenn er aber keinen eingibt, oder Papas Datenschutzbelehrung beherzigt hat? Dann nennt man ihn liebevoll: Na, probier's aus.)
Hat-tip: die halb-sieben (Schick mir mal einen aktuellen Link!).